Expertin des Monats
Dez. 2023
Dr.in Mariette Vreugdenhil, MSc.

In der wissenschaftlichen Gemeinschaft müssen wir uns bemühen, die „leaky pipeline“ - der über den Karriereverlauf abnehmende Frauenanteil – zu verstehen und Maßnahmen zu setzen, um es vorzubeugen. Zukünftige Generationen haben dann auch mehr Vorbilder von Frauen in führenden Positionen. Es ist auch wichtig, Mädchen dabei zu unterstützen, ihre Träume zu verwirklichen und dafür zu sorgen, dass sie nicht von Vorurteilen und Stereotypen eingeschüchtert werden. Mit der Motivation junger Mädchen für naturwissenschaftliche und technische Berufe, sollte meiner Meinung nach schon in der Schule begonnen bzw. diese verstärkt werden. Oft herrscht leider noch das Klischee, dass Männer besser für technische Berufe geeignet sind, weshalb junge Burschen eher dafür motiviert werden können als junge Mädchen. Gleichzeitig sollten Männer aller Altersgruppen aktiv in die Bemühungen zur Geschlechtervielfalt einbezogen werden, um die Inklusion zu verbessern.

Interview mit Mariette Vreugdenhil

Was steht auf Ihrer Visitenkarte?  Dr.in techn. Mariette Vreugdenhil MSc
Senior Scientist
Department für Geodäsie und Geoinformation, Forschungsbereich Fernerkundung
Technische Universität Wien

Sie sind Forscherin am Department für Geodäsie und Geoinformation an der Technischen Universität Wien. Was machen Sie da genau? 
Ich bin als Senior Scientist angestellt, eine Position, in der ich internationale Projekte leite, sowie Forschung und Lehre betreibe. Der Fokus meiner Forschung liegt in der Gewinnung des Boden- und Vegetationswassergehalts, aus neuartigen hochauflösenden Radarsatelliten und der Verwendung dieser Daten. Einige Projekte, die ich derzeit leite, gefördert von der Weltbank, Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie und der Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, haben zum Ziel, Dürrefrühwarnsystemen mit Hilfe von Satellitendaten zu entwickeln und verbessern und so die Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Ein wichtiger Teil dieser Projekte ist der Kapazitätsaufbau an Universitäten und Behörden in der Verwendung von Satellitendaten. Zusätzlich arbeite ich auch mit Hydrolog:innen und Treibhausgasmodellierer:innen zusammen, die in ihren Modellen Erdbeobachtungsdaten von Boden- und Vegetationswassergehalt verwenden, um ein verbessertes Verständnis der terrestrischen Kohlenstoff- und Wasserkreisläufe zu schaffen. Das Schöne an meiner Arbeit ist, dass ich mein Fachwissen aus Geowissenschaften und Fernerkundung kombinieren kann, um unser Verständnis und unsere Überwachungsmöglichkeiten durch die Nutzung von Erdbeobachtungsdaten für Ökosysteme, Prozesse und Extreme auf der Erdoberfläche zu verbessern. Neben Forschung und Projektleitung, bin ich auch in der Lehre tätig, wo ich im Bereich der Fernerkundung im Studium für Geodäsie und Geoinformation und Umweltingenieurwesen unterrichte. Weiters betreue ich Bachelor-., Master- und PhD-Studierende bei ihren Abschlussarbeiten.

Wie hoch ist der Frauenanteil bei den Mitarbeitenden an der Technischen Universität Wien? 
28,4% bei wissenschaftlichem Personal und 18% bei Professor:innen. 

Was unternimmt die Technische Universität Wien zur Förderung von Chancengleichheit?
Der Technische Universität Wien hat einen Gleichstellungsplan und das TU-Diversity Management. Es gibt auch ein Genderkompetenzzentrum, das sich mit Genderforschung, Forschung zur Gleichstellung der Geschlechter, frauenspezifischer Personalentwicklung für Mitarbeiterinnen, Förderungsmaßnahmen für Schülerinnen, Studentinnen und Nachwuchswissenschaftlerinnen sowie Beratungstätigkeit beschäftigt. 
Im Department für Geodäsie und Geoinformation haben wir einige zusätzliche Initiativen zur Frauenförderung, was mich freut und mir auch ein persönliches Anliegen ist. Ein schönes Programm ist das GEO4Women, in dem Studentinnen ein Stipendium beantragen können und so für zwei Monate an einem selbst vorgeschlagenen Thema arbeiten können. Ein Kernteil des von mir geleiteten Projekts zur Dürreüberwachung in Mosambik ist, wie bereits erwähnt, Kapazitätsaufbau. Hier haben wir ein Women2Women-Mentoring-Programm gestartet, bei dem Studentinnen der Naturwissenschaften von drei Universitäten in Mosambik mit erfahreneren Frauen in diesem Bereich zusammengebracht werden. Ziel ist es, durch Mentoring zur Verbesserung der Ausgangsposition und Einsatzfähigkeit von Frauen beizutragen und sie bei der Karriereentwicklung in Wissenschaft und Industrie zu unterstützen.

Sie haben Geowissenschaften an der Vrije Universiteit Amsterdam studiert. Wie kam es dazu?
Als ich meine Maturafächer auswählen musste, was Jugendliche in den Niederlanden schon mit 14 oder 15 Jahren machen müssen, habe ich mich auf Wirtschaft fokussiert. Eines der Pflicht-Maturafächer war Geographie, was sich hauptsächlich auf Planologie und soziale Geographie fokussiert hat. Nur ein kleiner Teil war Geologie, was aber unserem Geographielehrer am meisten Spaß gemacht hat - spezifisch Vulkanologie. Während einer Schulreise nach Rom mit unserem Geographielehrer, hat er eine Exkursion zu einem aktiven Vulkan organisiert, dem Solfatara, in der Nähe von Pompei. Die Exkursion hat mich extrem beeindruckt und in Kombination durch meinen enthusiastischen Geographielehrer habe ich mich dann entschieden Geowissenschaften zu studieren. Das war dann nicht so leicht, denn in den Niederlanden ist es so, dass man nur mit abgeschlossener Matura in Chemie und Physik, Geowissenschaften studieren darf. Ich habe dann noch ein extra Jahr gebraucht, um die Matura in Chemie, Physik und Mathematik nachzuholen, bis ich endlich mein Studium anfangen durfte. Während meinem Geowissenschaftenstudium habe ich mich auf Oberflächenprozesse fokussiert, so wie auf Hydrologie, Klima, Meteorologie und Bodenkunde. 

Was ist das Spannende an Geowissenschaften?
Das Spannende an Geowissenschaften ist, dass sie technische Disziplinen wie Chemie, Physik und Mathematik kombiniert, um wichtige Prozesse wie zum Beispiel Gletscherbewegungen und Plattentektonik zu erklären. Die physischen und chemischen Prozesse oder Überreste können wir in unserer Umgebung observieren und wir spüren, wie es unseren Alltag beeinflusst. Obwohl Plattentektonik für uns eher abstrakt ist, weil sich die Platten sehr langsam bewegen, hören wir immer wieder über Vulkanausbrüche in Island und, dass diese dann den Flugverkehr einschränken. Schön ist aber auch, dass in Island eine Tourist:innenattraktion ein Besuch an der Kontinentalplattengrenze zwischen der nordamerikanischen und eurasische Platte ist. Direkt in Österreich gibt es auch sehr viele Beispiele, wie Geowissenschaften unseren Alltag beeinflussen. In den letzten Jahren gab es beispielsweise immer mehr und längere trockene Perioden in Österreich, was wir auch in unseren Satellitendaten beobachten. Diese Trockenperioden treffen die Landwirtschaft mit Ernteausfällen, machen die Wälder anfälliger für Borkenkäferbefall und Waldbrände, sowie letztes Jahr in Reichenau an der Rax. Diese Schnittstelle zwischen natürlichen Prozessen und der Gesellschaft finde ich einen sehr spannenden Teil der Geowissenschaften. 

Was braucht es Ihrer Meinung nach noch, damit mehr Mädchen und Frauen in Naturwissenschaft und Technik Fuß fassen?

In der wissenschaftlichen Gemeinschaft müssen wir uns bemühen, die „leaky pipeline“ - der über den Karriereverlauf abnehmende Frauenanteil – zu verstehen und Maßnahmen zu setzen, um es vorzubeugen. Zukünftige Generationen haben dann auch mehr Vorbilder von Frauen in führenden Positionen. Es ist auch wichtig, Mädchen dabei zu unterstützen, ihre Träume zu verwirklichen und dafür zu sorgen, dass sie nicht von Vorurteilen und Stereotypen eingeschüchtert werden. Mit der Motivation junger Mädchen für naturwissenschaftliche und technische Berufe, sollte meiner Meinung nach schon in der Schule begonnen bzw. diese verstärkt werden. Oft herrscht leider noch das Klischee, dass Männer besser für technische Berufe geeignet sind, weshalb junge Burschen eher dafür motiviert werden können als junge Mädchen. Gleichzeitig sollten Männer aller Altersgruppen aktiv in die Bemühungen zur Geschlechtervielfalt einbezogen werden, um die Inklusion zu verbessern.

Wordrap mit Mariette Vreugdenhil

Womit ich als Kind am Liebsten gespielt habe:
Ich war immer gerne draußen am Bauernhof von meinen Eltern, klettern in Obstbäumen oder im Wald eine Hütte bauen aus Ästen mit meinem Bruder und Cous:innen.   

Dieses Studium würde ich jetzt wählen:
Noch immer Geowissenschaften, weil es angewandt und technisch ist und jetzt auch sehr aktuell. Was mir besonders daran gefällt, ist der große Anteil an Exkursionen und Laborexperimenten im Studium.  

Mein Vorbild ist:
Mein Großvater, weil er immer positiv und gut gelaunt war, auch während schwierigen Zeiten und ein extremes Durchhaltevermögen gehabt hat. Und Prof.in. Dr.in. ir. Susan Steele-Dunne, Professorin Fernerkundung an der Technischen Universität Delft, eine extrem intelligente und starke Frau mit einem unschlagbaren Sinn für Humor, ein echtes Vorbild in meinem Berufsfeld.

Was ich gerne erfinden würde:
Ein Gerät, dass die Umkehr der Klimakrise ermöglicht.

Wenn der Frauenanteil in der Technik 50 Prozent beträgt … 
… würde es ein ausgeglicheneres und positiveres Lern- und Arbeitsumfeld für alle in der Technik geben.

Wenn der Frauenanteil in Führungspositionen 50 Prozent beträgt …
… gibt es mehr Empathie und konstruktive Zusammenarbeit. 

Was verbinden Sie mit Innovation: 
Über den Tellerrand des eigenen Umfelds zu schauen und interdisziplinär zusammenzuarbeiten, um ein besseres Verständnis für Prozesse zu bekommen und effizientere Lösungen zu finden. 

Warum ist Forschungsförderung in Österreich wichtig:

Es gibt viele Bereiche, in denen Forschung und Entwicklung entweder ein hohes Risiko darstellt oder keine direkte finanzielle Rendite abwirft. Forschungsförderung ist sehr wichtig, um auch in diesen Bereichen weiterhin Innovationen zu ermöglichen.

Meine Leseempfehlung lautet:
„On time and water“ von Andri Snær Magnason, weil es zeigt, wie schön unsere Welt ist, aber auch wie schnell sie sich ändert. Aber ich lese auch sehr gerne Asterix und Obelix, weil ich es als Kind sehr spannend und witzig fand, jetzt sehe ich es allerdings mit anderen Augen, da ich manche Schmähs als Kind nicht verstanden habe.

Mariette Vreugdenhil
Dr.in Mariette Vreugdenhil, MSc.

Senior Scientist

Department für Geodäsie und Geoinformation, TU Wien

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Letzte Aktualisierung: 13.12.2023